Frauenquote in Führungspositionen? Erkennen-Lernen zukunftstauglicher als Frauenquote
- Doris Lindner
- 9. Dez. 2024
- 6 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 8. Mai
Wichtige Denkanstöße zur Zusammenstellung von Teams und Auswahl von Führungskräften
Das 21. Jahrhundert ruft nach leistungsfähigen heterogenen Teams. Personen – Männer wie Frauen – mit weiblichen Verhaltensmustern sind bei deren Führung besonders erfolgreich. Das Bewusstsein ist vorhanden. Doch nutzen wir die richtigen Methoden um passende Talente zu identifizieren?

Die Fakten sind bekannt: Heute ist die Hälfte der Studienabgänger weiblich, in manchen Bereichen ist der Anteil noch höher. Im Durchschnitt haben Frauen deutlich bessere Abschlussnoten, das macht sie ohnehin zu bevorzugten Bewerbern. Nein, weibliche Führungskräfte werden aufgrund (nicht trotz!!) ihrer Verhaltensmuster dringend gebraucht.
Gut, dass wir die Frauenquote in Führungspositionen haben?
Ja und Nein. Dafür spricht, dass die Frauenquote in Führungspositionen zu mehr Sichtbarkeit von weiblichen Führungskräften führt. Diese Sichtbarkeit von weiblichen Rollenvorbildern ist laut Iris Bohnet, Professorin für Verhaltensökonomie an der Harvard Universität eine wichtige Voraussetzung, um „kontrastereotype Rollenmodelle“ zu überwinden und so die Akzeptanz von Frauen in Führungspositionen zu steigern. Auf der anderen Seite verstellt die Quote den Blick auf die eigentlichen weiblichen Qualitäten im Unternehmensalltag. Für andere ist die Frauenquote ein Reizwort. Sie hat Gegner auf beiden Seiten.
Männer fühlen sich ungerecht behandelt, wenn sie aufgrund ihres Geschlechts bei der Auswahl übergangen werden. Generationen von Frauen waren vor ihnen in genau dieser Situation. Vielen Frauen gefällt die Vorstellung genauso wenig, einen Job vermeintlich nur aufgrund ihres Geschlechts und einer gesetzlichen Vorgabe zu bekommen. Sie möchten sich aufgrund ihrer Qualifikation und Persönlichkeit durchsetzen und nicht Gefahr laufen, noch jahrelang als „Quotenfrau“ zu gelten.
Die gesetzliche Regelung ist also nicht die Lösung, aber was dann? Wir kommen erst weiter, wenn sowohl Männer als auch Frauen selbst erkennen und verstehen, welchen Beitrag weibliche Verhaltensmuster zum Gesamterfolg leisten. Personen – Männer wie Frauen – mit weiblichen Verhaltensmustern sind bessere Teamleader. Sie können besser zuhören, ziehen andere Meinungen eher in Betracht und beziehen alle ein. Sie verstehen es, zu motivieren und Mitarbeitern den Raum zu geben, in dem alle sich frei äußern und ihr Potenzial voll entfalten können. Ein „Ideen-Biotop“ sozusagen. Warum ist das so wichtig? Weil Team-Arbeit die Zukunft der Arbeitswelt sein wird!
Teams erreichen mehr als viele Einzelkämpfer zusammen
Wenn Maschinen, Computer und Roboter immer mehr Aufgaben ganz oder teilweise übernehmen können, werden für Menschen andere Eigenschaften wichtiger. Künstliche Intelligenz kann unendlich wachsen. Menschliche nicht. Kollege Computer wird täglich schlauer, Alexa und Siri erkennen unsere Wünsche immer besser, Herr Meier oder Frau Müller kommen irgendwann an die Grenzen ihrer Aufnahmefähigkeit. Wir müssen uns also warm anziehen, auch das nichts Neues. Alleine werden wir es nicht schaffen und können uns schon gar nicht leisten, Stärken gegeneinander auszuspielen.
Innovation ist gefragt, um diese komplexen Herausforderungen zu bewältigen. Die Welt wird nicht nur zunehmend komplexer, sondern auch schnelllebiger. Je überraschender sich Dinge ändern, je schneller Lösungen für komplexe Zusammenhänge gefunden werden müssen, desto wahrscheinlicher ist es, dass jemand im Team zu dieser Lösung beiträgt. Wer genau die ausschlaggebende Idee hat, kann man im Vorfeld nicht wissen. Also muss jeder im Team die Möglichkeit haben, beizutragen.
Ist der klassische Vorgesetzte ein Auslaufmodell?
Sowas lässt sich nicht planen. Interessant ist auch die Feststellung des Neurologen Peter Kruse, nach dem in einem strikt transaktional geführten Team die Gruppe zwangsläufig „nur so intelligent wie ihr Chef“ ist. Wetten, dass an dieser Stelle sehr viele Leser beginnen, sich Gedanken zu machen?
Der Fachjargon „suprasummarische Intelligenz“ bedeutet, dass das Team gemeinsam kompetenter ist, als die Summe der einzelnen Mitglieder. Ein enormer Wettbewerbsvorteil und überzeugendes Argument in Unternehmen.
Bei der Zusammenstellung von Teams werden bisher primär Kompetenzen wie Experten- bzw. Fachkenntnisse berücksichtigt. Das reicht nicht mehr aus! Unternehmen müssen weit unterschiedlichere Stärken und Qualitäten berücksichtigen, wenn sie weiter erfolgreich agieren wollen. Es braucht Eigenschaften wie die Fähigkeit des Zuhörens sowie der Wahrnehmung von Widerständen und Spannungen in einer Gruppe. Häufig liegt im Konflikt die alles entscheidende Lösung. Die Liste sozialer Kompetenzen setzt sich fort. Es handelt sich um typische Stärken weiblicher Verhaltensmuster, die gerade in Führungspositionen bzw. im Kontext von Teamstrukturen als äußerst wichtig gelten. Viele dieser Kompetenzen brauchen wir außerdem dringend, um den Kulturwandel zu stemmen.
Kulturwandel bedeutet nicht komplette Abkehr von Hierarchie und Macht. Sie sind aber nicht unbedingt verknüpft. Hierarchie wird es schon aus Orientierungsgründen immer geben müssen – sogar für neue Ansätze wie sich selbst organisierende Formen der Arbeit. Oder gerade da. Erfolgreiche „Leader“ haben Macht mit Menschen, ohne Macht über sie zu haben.
Auswahlmethoden für Führungspositionen gestern und morgen
Wie es scheint, brauchen wir jetzt und für die Zukunft Talente mit anderen Fähigkeiten als bisher. Mit den etablierten Methoden können wir sie nicht identifizieren. Diese wurden entwickelt, um Talente zu finden, welche die Kompetenz der bestehenden Führungsriege reproduzieren. Der Perspektivwechsel hilft. Um nicht wiederholt die bewährten Methoden anzuwenden und erneut nicht fündig zu werden, muss sich beim Identifizieren von Talenten der Blick ändern bzw. der Blickwinkel weiten. Talent äußert sich unterschiedlich. Damit niemand ungewollt durchs Raster fällt, müssen die Auswahlkriterien angepasst werden.
In Wirtschaft und Politik wurden seit jeher Führungspositionen mit Personen besetzt, die den aktuellen sehr ähnlich waren. Verständlich, so konnte man sie besser einschätzen. Es ist ein Fakt, dass Männer in Chefetagen vorherrschen. Ein anderer bekannter Fakt, dass Frauen anders ticken. Daher die Scheu vor der Kommunikation.
Ausdauer, Stärke, Ehrgeiz, Kompetenz und vor allem Durchsetzungskraft. Das sind einige der Eigenschaften, die bei der Auswahl des Nachwuchses bislang die Nase vorn hatten und die man als Führungskraft auch durchaus braucht – richtig dosiert. Aber eben nicht nur diese. Auf eine Teamzusammenstellung projiziert würde man jetzt noch ein paar Frauen hinzufügen, um die Teamkompetenz mit den notwendigen weiblichen „Top-Eigenschaften“ zu vervollständigen.
Funktioniert das Abschauen beim anderen Geschlecht?
Man könnte sich doch auch bestimmte Verhaltensweisen antrainieren, oder? Neueste Forschungsergebnisse von Marion Büttgen, Professorin am Lehrstuhl für Unternehmensführung an der Universität Hohenheim belegen, dass Frauen auf Basis männlichen Verhaltens in Top-Positionen gelangen. Die Methode hat sich also bewährt. Da Persönlichkeitsstrukturen sehr stabil sind, geht Professor Büttgen allerdings auch davon aus, dass diese Frauen wahrscheinlich dem männlichen Persönlichkeitstypen entsprechen und deshalb diese herausragende Karriere gemacht haben. Und nicht etwa, weil sie von Männern gelernt haben.
Frauen machen in Meetings häufig Vorschläge und erfragen die Meinung anderer, um am Ende eine qualifizierte Wahl treffen zu können. Sie tun es nicht, weil sie keine eigene Meinung haben oder sich nicht entscheiden können. Ein klassisches Beispiel von zwischengeschlechtlichen Missverständnissen, die Männer daran hindern, das Potenzial von Frauen zu erkennen. Doch wie wird man die hinderliche Brille los, die einen die vorhandenen Talente schlicht nicht sehen lässt? Genau, daran müssen wir jetzt arbeiten. Wenn wir es gelernt haben, dann kann die ungeliebte Frauenquote in den Geschichtsbüchern archiviert werden.
Es geht auch anders
Ganz so neu ist die Problematik nicht. Klassische Musikorchester in den USA bestanden sehr lange Zeit fast ausschließlich aus Männern. Das änderte sich erst in den 70er Jahren mit der Einführung des Vorhangs beim Vorspielen. Die Entscheider hören die Musik, kennen aber weder Geschlecht, Hautfarbe oder Alter des Bewerbers. Der Anteil weiblicher Musiker ist seitdem von ca. 5% auf 35% gestiegen. Die „Vorhang-Methode“ lässt sich zugegeben nicht überall anwenden.
Die indische Regierung ging 1993 direkter vor und legte fest, dass fortan bei einem Drittel der Dorfräte eine Frau den Vorsitz haben sollte. Die betroffenen Dörfer wurden ausgelost, die Bewohner waren äußerst skeptisch, doch die Frauen zeigten ihre Qualitäten: Sie stellten mehr wichtige öffentliche Güter zur Verfügung wie Trinkwasser, Straßen und Bildung. Die Quote der angezeigten Verbrechen (einschließlich Vergewaltigungen) stieg und sie nahmen weniger Bestechungsgelder an als ihre männlichen Kollegen. Die Voreingenommenheit der Dorfbewohner gegenüber Frauen an der Spitze sank schnell. Experiment geglückt.
Es ist zum jetzigen Zeitpunkt wichtig, Denkanstöße zum Umgang mit weiblichen Verhaltensweisen zu geben. Klischees oder Rollenbilder sind dabei gänzlich fehl am Platz.
Über das unterschiedliche „Funktionieren“ von Frauen und Männern ist bereits mehr als genug gesprochen und geschrieben worden. In der Symbiose der beiden Verhaltensmuster liegt die Zukunft. Vor uns liegt ein Wertewandel hin zu einer Unternehmenskultur, in der wir die jeweils anderen Verhaltensweisen und ihren Beitrag zum gemeinsamen Erfolg anerkennen und wertschätzen. Wenn uns das gelingt, sind wir einen guten Schritt weiter.

© Doris Lindner & Robert C. Summers
Dieser Beitrag ist ursprünglich im Corporate Governance Forum von Deloitte erschienen (Ausgabe 5 / Juni 2018, S. 38-42). Da er nach wie vor hochaktuell ist, teilen wir ihn hier mit euch.
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